Du sprichst mir aus der Seele. Ich erinnere mich noch sehr genau an die Strapazen, die ich erlitt. Meine erste Latzhose war eine Jeans-Latzhose von Neckermann. Allein sie schon zu bestellen erregte mich in der Hinsicht: "Oh Gott! Was sollen die im Versandgeschäft von mir denken?". Weil ich's nicht aushalten konnte habe ich die Bestellung erstmal drei Tage zur Seite gelegt. Doch der Wunsch, eine solche außergewöhnliche Hose selbst zu besitzen ließ mir keine Ruhe. An der Werkbank beim Daimler konnte ich mich gar nicht auf meine Arbeit konzentrieren. Doch dann, an der Werkbank hatte ich einen Anpfiff vom Meister erhalten, kam total frustriert nach Hause - ich hatte ja eigentlich nichts falsch gemacht - verkroch ich mich in mein Zimmer, ließ den Rolladen herunter, zog die Gardinen zu und machte nur eine kleine Lampe an, so daß gerade die Tastatur meines PCs sich in schummrigen Licht befand. Jetzt musste es sein! Mit zitternder Hand öffnete ich die abgespeicherte Bestelldatei. Welche Größe ist jetzt richtig? Ich entschied mich für S, M und L. Eine wird schon passen. Leider hatte sie an den Seiten immer nur zwei Knöpfe. Noch zittriger suchte ich den Bestellbutton. Ich hab's gemacht! Oh Gott! Die Hose kommt per Liefernachweis. Ein Glück, so kann ich die Sendung abfangen. Ich werde mir wohl einen Tag Urlaub dafür nehmen müssen. Soll ja niemand erfahren, was ich mir da kaufe. Dann kam der Tag der Lieferung. Zwischen 12 und 18 Uhr sollte ausgeliefert werden. Hoffentlich kommt er nicht zu früh. Ich muss ja dann dem Postboten entgegentreten. Oh Gott! Was glaubt er wohl von mir? Daß ich mir drei Latzhosen bestelle. Kurz überlegte ich, ob ich noch die Bestellung rückgängig machen konnte. Aber nein: Da muß ich jetzt durch! Die Zeit bis zur Lieferung, 5 Tage, ging überhaupt nicht vorbei. An der Werkbank konnte ich mich auf meine Arbeit gar nicht mehr konzentrieren. Fehler schlichen sich ein, die ich sonst nie gemacht habe. Latzhose! Latzhose! Ich bekomme eine Latzhose! Bei meinem Meister sagte ich, daß ich an dem Tage um 11 Uhr beim Zahnarzt sein muss und ich nicht weiss, ob ich danach wiederkommen kann, denn ich hätte bestimmt Zahnschmerzen. Es war meine erste Lüge ... am Arbeitsplatz. 11:30 Uhr Ich bin zu Haus. Glücklicherweise bin ich alleine. Aus dem Eisschrank hole ich mir einen Eisbeutel und binde ihn mir mit einem Schal an die Wange. So kann ich Zahnschmerzen besser dokumentieren. Es klingelt. Mir rutscht das Herz und nicht nur das in die Hose. Oh Gott! Es ist der Postbote! Ein Paket für Müller-Schulze! Bitte hier unterschreiben! Hnnn? Ich kann nicht sprechen. Wo? Hier! Ich stürzte zurück in mein Zimmer. Das Paket flog aufs Bett. Mit Getöse ging der Rolladen runter. Schnell schrieb ich noch ein Schild: "Bitte lasst mich in Ruhe. Ich habe Zahnschmerzen und muss schlafen" Dies klebte ich an meine Zimmertür. Ich versuchte mein Schloß zweimal abzuschließen. Es gelang mir jedoch nur einmal. Das muß reichen. Mit dem Paket unter die Bettdecke gekrochen versuchte ich es mit der Schere und Beleuchtung mit einer Taschenlampe zu öffnen. Es darf mich keiner so sehen! Zuerst packte ich die Größe S aus. Sie war deutlich zu eng. Ich wurstelte sie wieder zurück weil ich wollte ja nur eine Hose haben. Dann die Größe M. Oh Gott! Was ist das? Auf einmal stelle ich fest, daß ich mit Kopf im Hosenbein festhänge. Aber wer weiss, vielleicht könnte man mich doch sehen, wenn ich das einfach so im Zimmer mache und nicht unter der Bettdecke. Dreimal versuchte ich, die Hose richtig zu sortieren. Dann gelang es mir, das erste Bein richtig reinzusetzen. Wie krieg ich den Rückenlatz hoch, wenn ich liege? Mit Mühe gelang mir auch das Zweite. Es wollte nicht. Ich musste es zu sehr anwinkeln. Geschafft! Jetzt legte ich mich auf den Bauch und angelte nach den Trägern. Diesmal sah e so aus als ob sie passen würde. Irgendwas stimmte aber mit dem Träger nicht. Er drückte mir hinten an der Schulter. Zuerst dachte ich, das müsste so sein. Den anderen versuchte ich mit der Hand über meinem Kopf von hinten nach vorne zu holen. Zweimal mißlang es. Jetzt wurde der Druck noch größer. Oh Gott! Ich hab die Träger über Kreuz. So ergriff ich beide Träger, zog sie über den Kopf zurück auf die andere Seite. Den Knoten aus den Armen würde ich schon wieder herausbekommen. Jetzt habe ich es geschafft. Ich drehte mich wieder auf den Rücken. Der Griff nach dem Latz erregte mich physisch. Die Leuchtkraft meines Kopfes hätte wohl ausgereicht, um unter der Decke genügend Licht zu schaffen. So fühlte ich mich. Zum ersten Mal eine Latzhose an. Die Schnallen? Wie halten die an den Knöpfen? Ich zog und zerrte und pflups war die erste Schnalle eingeschnappt. Der Träger drückte leicht auf meine Schulter. Es war ein unbeschreibliches Gefühl. Gschwind noch den zweiten Träger. Es hat geklappt. Ich angelte mir die Seitenknöpfe. Sie passte. Es war geschafft. Vorsichtig lüftete ich die Decke über meinem Kopf um Luft zu schnappen. Langsam merkte ich, wie die Röte aus meinem Kopf wieder weg ging. Der Atem verlangsamte sich. Es war so geil! Vorsichtig kroch ich aus dem Bett. Hoffentlich sieht mich keiner durch den Rolladen. Was sollen nur die anderen Menschen denken, daß ich eine Latzhose anhab. Oh Gott! Ein kalter Schauer geht mir den Rücken runter und holt mir sämtliche Farbe aus dem Gesicht. Mit den Händen streifte ich seitlich am Latz herunter bis zu den Beinen an meiner L A T Z H O S E. Aber nun: Es könnte ja jemand kommen. Die Angst ging mir nicht mehr aus dem Sinn. Schnell löste ich die Seitenknöpfe und Träger, so daß die Hose nach unten fallen konnte. Schnell sprang ich in meine alte Jeans. Es war nicht das gleiche Gefühl. Obwohl es ja der gleiche Stoff ist. Mit einem Fußtritt schleuderte ich die passende Hose unters Bett. Wie gut, daß ich nur zwei Hosen ausgepackt hatte. Jetzt muß ich schnell die zu kleine Hose einpacken und in dem Karton zurückverstauen. Mit zitternder Hand füllte ich den Retourschein aus. Hose zu klein und zu groß. M hat gepasst. Jetzt konnte ich aus dem Zimmer herauskriechen. Immer noch keiner zu Hause. Ein Glück. In der Küche fand ich Klebefolie und Paketkordel. Zurück im Zimmer war es schnell wieder verpackt. Ein Glück, daß das Paket in meinen Rucksack passte. So schritt ich nun zur Post. Sieht man mir das an, daß ich vorhin eine Latzhose anhatte? Oh Gott! Ich hab ein Gefühl, daß alle Menschen auf der Straße sich nach mir umgucken. Ich hab aber keine Latzhose mehr an. An der Post angekommen legte ich das Paket verstohlen auf die Waage. Muss die Sendung zurückgeben sagte ich. Das Lächeln der Postangestellten brachte mir wieder eine Rötung ins Gesicht. Hat sie's gemerkt, daß im Paket Latzhosen sind? Wird sie das meiner Mutter womöglich sagen beim nächsten mal? Verstohlen lachte ich zurück, als sie mir die Quittung gab. In Windeseile verließ ich die Postfiliale. Jetzt das nächste Problem: Was mach ich mit der Latzhose unterm Bett? Die kann da nicht liegenbleiben! Als ich zurückkam stand meine Mutter in der Küche. Oh Gott! War sie in meinem Zimmer? Wo kommst du denn schon her? Habt ihr heute früher Feierabend gehabt? Oh Gott! Meine Lüge. Nein äh, Mutti äh, ich hatte so Zahnschmerzen und war beim Zahnarzt. Und jetzt? Ist alles gut, war nur eine Entzündung des Zahnfleisches. Ist schon wieder besser. Soll ich dir denn einen Brei kochen? Nein, ich kann zum Abend wieder normal essen. Zurück in meinem Zimmer war der Rolladen noch unten. Ich machte das Licht an: Oh Gott! Ein Träger der Latzhose guckt unter dem Bett hervor. Schnell schloß ich die Tür ab. Jetzt holte ich die Latzhose heraus, legte sie grob zusammen und rollte sie auf. In der Ecke neben meinen leeren Colaflaschen hatte ich noch einen Plastikbeutel. Da kann ich sie gut drin verstauen. In meinem Rucksack hoffte ich doch ein sicheres Versteck für die Zukunft zu haben. Und so könnte ich sie mir von Zeit zu Zeit in der Nacht herausholen und unter der Bettdecke wieder anziehen, bis ich mich dran gewöhnt habe. Es waren schlimme Zeiten! Insofern kann ich dich gut verstehen, daß du solche Angst hattest. Du hast miterleben können, welche Qualen es mir gemacht hat, meine Latzhose das erste Mal anzuziehen. Aber jetzt nach fünf Jahren habe ich mich am Wochenende verabredet mit meinem Freund Ferdinand gemeinsam in Latzhosen, die wir noch mit dem Pullover kaschieren, in Hamburg auf den Jungfernstieg zu gehen. Hoffentlich hab ich nicht die ganze Zeit eine rote Birne.
Es grüßt euch
Hosenlatzy