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Goldenes Latzhosen-Jubiläum

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Meinereiner:
Eine blaue Cord-Latzhose, deiner nicht unähnlich, hatte ich auch mal.

Ein sehr dunkles Blau, fast schwarz. Silberne 'Hardware'. Das war die erste Latzhose, die ich mir selber vom Taschengeld gehauft hatte, und zwar in einem Geschäft für Berufsbekleidung in Bremen, gegenüber vom Theater am Goetheplatz. Ich war damals noch Schüler und hatte vorher bereits eine klassische Latzjeans gehabt, wie einige meiner Mitschüler, oder besser gesagt vor allem die -innen.
Unter den Jungs war die Traute schon damals eher knapp bemessen, es gab nur einen oder zwei weitere. Die Kombination mit Cord war schon was besonderes, und im Gegensatz zu der eher locker sitzenden Latzjeans war die aus Cord eher skinny, wie man heute sagen würde, denn in dem Geschäft gab es 'Langgrößen' in der Ecke für Lehrlinge (!), so dass man als langer schlaksiger Kerl nicht immer automatisch super weit kaufen musste, wenn man einfach die Länge brauchte.
Ich hab' diese Cordlatzhose lange gehabt, die Qualität war super, aber irgendwann wurde sie dann doch unmodern, und ich wurde kräftiger, so dass sie nicht mehr passte, aber dafür nun die Latzjeans besser saß. Ich bin dann bei den Jeanslatzhosen geblieben, hatte als Studi zwei gestreifte Lee in Folge, aber danach für Jahrzehnte Latz-Pause, außer den einen oder anderen Blaumann.

Zum Goldenen Latz-Jubiläum reicht es bei mir aber noch nicht ganz. Eine Handvoll Jahre noch ...

bib-oldie:
Zu meiner Schulzeit gab es noch keine Latzhosen als Modeklamotte, weder in Jeans noch in Cord. Und Latzhosen als Berufskleidung war natürlich für Schüler vollkommen fern. Die kannten allenfalls Schüler, deren Eltern Handwerker waren oder einen Bauernhof hatten, aber als Straßenkleidung? Völlig unmöglich! Die neue, fast revolutionäre Mode kam erst Anfang der Siebziger von Amiland herüber und war hierzulande irgendwo zwischen Protest- und Flower-Bewegung angesiedelt, je nach Kreisen, in denen man sich bewegte. Zu beiden gehörte ich allerdings nicht, sondern kam zur Latzhose, wie ausführlich beschrieben, nur durch eine zufällige Anprobe, durch niemanden sonst animiert.

Rückblickend versuche ich mir gelegentlich vorzustellen, wie das für mich als Schüler damals gewesen wäre, eingebunden in die Klassengemeinschaft, deren Klamotten damals ziemlich klassisch = langweilig waren. Und plötzlich erscheint man in der ersten Stunde in der Klasse und hat als erster eine Latzhose an! Alle Blicke sind auf einen gerichtet und man rechnet schon mit allerlei doofen Bemerkungen. Vielleicht ist dazwischen auch eine bewunderswerte, aber wer weiß das schon? Blamiert man sich in Grund und Boden, oder findet man Anerkennung und Zustimmung? Bei diesem Resonanz-Risiko bin ich mir überhaupt nicht sicher, ob ich das damals tatsächlich als Erster gewagt hätte.

Die unvorhersehbare Gruppenmeinung einer Klasse ist vermutlich auch heute noch einer von vielen Gründen, warum es vor allem unter den männlichen Schülern so wenig Latzhosenträger gibt. Die einschlägigen Mode-Blogs unter jungen Leuten bedienen leider bezüglich Latzhosen fast nur die Mädchen-Mode, und das könnte dann für Jungen ein Grund mehr sein, eben keine Latzhosen tragen, weil das ja Mädchensache ist (sei). Insofern sind die Modemacher und deren Werbung zur Zeit eher eine Bremse für Latzhosen unter Jungen. Wie schade!

Meinereiner:
Nun ja ... ich war tatsächlich der erste Junge, der in unserer Schule eine Jeans-Latzhose trug, und es war wirklich keine kleine Schule. Klar war das zuerst mal eine spannende Sache besonders am ersten Tag, aber ich gehörte ohnehin nicht zu der Gruppe, in der Coolness sich durch größtmögliche Konformität mit dem aktuellen Ernte 23 Werbespot ausdrückte.

Ich war einer der besten Mofa-Tuner der Schule, besaß aber selbst keines, denn ich fuhr selbst ausschlieslich Rennrad. Ich konnte schon als Schüler mit einer Drehbank umgehen, und Tuningteile machen, die es sonst nicht gab. Wer schnell sein wollte, musste also zu mu mir kommen. Daher musste ich also nicht dem Klamottenkodex dieser 'coolen' In-Gruppe folgen. Ich wollte ja nix von denen. Für meine Latzhose habe ich also von dort keine Kritik bekommen, sie ist aber bei den anderen (und den Mädels) meist positiv angekommen, es gab später sogar ein paar wenige Nachahmer.

Meine erste Latzjeans hat übrigens zwei Runden an jener Schule gedreht, denn als ich rausgewachsen war, hat meine jüngste Schwester, die nach mir auf diese Schule ging, sie entdeckt und in schwer reparierter Form zu ihrer Lieblingshose erklärt und noch viele Jahre getragen, bis die Flicken der Flicken der Flicken auch Flicken hatten ...

bib-oldie:
Hi Meinereiner,

da hattest Du ja im Ansehen Deiner Mitschüler eine bemerkenswert gute Position, sicherlich günstiger als die meisten Schüler in ihrer Klassengemeinschaft. Trotzdem wird wohl Dein Weg zum ersten Auftritt in der Schule nicht ohne das gewisse Kribbeln in den Beinen oder im Kopf abgegangen sein.

Deine detaillierte Beschreibung macht neugierig auf mehr Details, um die damalige Situation noch besser nacherleben zu können:
  ~  Wodurch wurde der Wunsch nach einer Latzhose in Dir geweckt, obwohl es noch keine männlichen Vorbilder gab?
  ~  Wieviel Zeit hast Du gebraucht vom Kauf der Hose bis zu dem Entschluss, in Latzhose auch zur Schule zu gehen?
  ~  Wie fanden Deine Eltern Deinen Wunsch nach einem so speziellen Outfit?
  ~  Musstest Du das begehrte Teil vom Ersparten bezahlen?
weiß
Fühle Dich bitte völlig frei, auf diese oder jene Frage zu antworten!

Grüße von bib-oldie

Meinereiner:
Hi Bib-Oldie.

Die Sache ist einfach: Ich hatte damals als Schüler schon das Hobby, Modellflugzeuge zu bauen, und die wurden mit kleinen Verbrennungsmotoren angetrieben, die denen der Mofas meiner Mitschüler nicht unähnlich waren, nur kleiner. Ich hatte aber kein Geld, also habe ich ausgelutschte Motoren von den 'alten Säcken' geschnorrt, und diese im Keller wieder aufgemöbelt und natürlich 'frisiert'. Dabei habe ich einiges gelernt.
Ein Mitschüler aus der direkten Nachbarschaft, mit dem ich oft gebastelt habe, hatte dann ein Mofa geerbt, ein total uncooles, gebrauchtes. Damit konnte er sich natürlich nirgends sehen lassen. Da reifte der Gedanke, das olle Ding zu tunen, man konnte ja nicht viel verlieren. 2 Wochen später war die olle Gurke das schnellste Mofa im Stadtteil. Dank für damalige Zeiten eher exotischer Teile wie Resonanzauspuff, ausgedrehtem Schiebervergaser und sehr viel Auffüllung und Glättung in den Kanälen konnte man damit jedenfalls viel schneller fahren, als gesund für einen war, und schneller, als jede Hercules-Mofa in der Stadt. Das hat uns einen gewissen Ruf eingebracht, und Folgeaufträge. Plötzlich waren auch französische Mofas cool.

Ich kannte zu der Zeit Latzhosen eigentlich nur als Arbeitskleidung. Der Vater eines Freundes hat uns Jungs gelegentlich für ein paar Mark angeheuert, um Aushilfsarbeiten zu machen. Mal ein Loch graben, mal Schrott sortieren oder Laub wegmachen. Der hatte einen Installationsbetrieb, und damit es keinen Ärger mit den Eltern gab, bekamen wir von ihm immer irgendwelche alten blauen Latzhosen für diese Aktionen, die für seine Gesellen nicht mehr gut genug waren. Erst danach habe ich entdeckt, dass es neuerdings Latzhosen auch aus Jeansstoff gab.

Naja, das nur zur Vorgeschichte.

Die Zeit vom Kauf der ersten Jeans-Latzhose bis zum ersten Mal in der Schule kann eher in Stunden gemessen werden, als in Tagen. Meine Mutter hat sie mir gekauft. Ich hatte schon zuvor ein Auge darauf geworfen, im Schaufenster von einem Laden in der Nähe, und als dann tatsächlich eine neue Jeans anstand, meine Mutter zielgerichtet in eben diesen Laden dirigiert. Bei der Anprobe gab es einen ähnlichen Effekt, wie Du ihn auch schon beschrieben hattest: Das war eine ganz andere Art von Hose, die nicht irgendwie unten um einen rum hing, sondern die man ganz und gar anhatte, wie so eine Art Wohnhose, aber dabei noch mal völlig anders als diese schlabberigen Arbeitslatzhosen. Grandios, und ich wollte dann nur noch diese, konnte zum Glück meine Mutter überzeugen, denn sie war natürlich teurer, als eine normale Jeans. Allerdings musste ich versprechen, sie mindestens ebenso oft anzuziehen, wie ich sonst eine Jeans angezogen hätte, was mir natürlich in dem Moment der Begeisterung ziemlich leicht fiel. Dass sie etwas weiter war, kam dem Sparbewusstsein meiner Mutter entgegen (Der Junge wächst ja noch!), und so wurden wir uns einig. Klar wuchs der Junge noch, und irgendwann kam der Tag, an dem die Latzhose nicht mehr wirklich weit war, aber das hat seine Zeit gedauert, und die Hose wuchs auch ein wenig mit, glaube ich.

Ich bin dann gleich am nächsten Tag damit in die Schule. Klar war das erstmal ungewohnt, und eine gewisse Unsicherheit war dabei, aber ich wollte ja diese Hose, also habe ich das durchgezogen und bin damit einfach so durchgekommen. Es hat sich gezeigt, dass niemand, dessen Meinung ernsthaft interessant war, was dagegen sagte, und speziell meine Mitschülerinnen das eher gut fanden. Christine, Sabine, Birgit und Iris (ja, so konnte man damals heißen!) hatten auch bald welche. Martina hatte vorher schon eine, und dann war da noch Bianca, die diesen wirklich nicht zu weiten hellbraunen Denim-Overall hatte, mit der niedlichen gestickten Applikation oberhalb der linken Brust, die nicht zu klein war, und der allerdings vollkommen unerreicht jenseits aller denkbaren Konkurrenz war. Irgendwo muss es noch ein entsprechendes Klassenfoto geben ...

Erst die nächste, die schon erwähnte Cord-Latzhose, habe ich vom Taschengeld gekauft: "Junge, du hast doch schon eine!" ;0)
Auch alle weiteren Latzhosen habe ich dann später vom Taschengeld oder erjobbtem Geld gekauft.

Als ich studieren ging, hatte ich dann eine Lee mit Hickory Stripes. Wir waren die Babyboomer, und Zimmer waren rar. Da mein Kumpel und ich Handwerklich begabt waren, haben wir uns zusammengetan und eine ziemliche Bruchbude gemietet und erstmal renoviert. Für sowas war die Lee Latzkose natürlich zu wertvoll. Also habe ich irgendwoher aus einer Lumpenkiste im Kohlenkeller einen ollen Blaumann gefunden, den ich dabei angezogen habe, aber es war Sommer, und das Ding viel zu warm und zu weit. Also habe ich mit der Tapetenschere Ärmel und Beine abgeschnitten, Gürtel drum und gut. Das muss so '82 gewesen sein. Jedenfalls wurde das Teil während der ganzen Renovierung getragen, hat sich dabei irgendwie bewährt. Es wurde danach in die Kochwäsche geworfen, aus der es überraschenderweise fast vollständig sauber, cool verwaschen und ein wenig weniger weit hervorging. Ich hab' dann tatsächlich noch die Grob-Schnitte als Saum umgenäht und es später beim Modellebauen oder Autoschrauben und auch einfach so angezogen, weil es so verdammt bequem war, und irgendwie auch cool, auf seine eigene mir-doch-egal-Weise.

Es hat dann weitere 25 Jahre oder mehr gedauert, bis wieder jemand auf diese Idee gekommen ist. Zuvor musste jedoch das WWW erfunden werden, um auch einen ordentlichen Hype daraus zu machen. ;0)

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