Latz-Rocky - 19.10.2009 21:54
Die erste Nacht in der Ferienwohnung verlief wunderbar ruhig. Meine große Schwester und ich mussten uns zwar das Zimmer teilen – aber wenigstens gab’s dort ein cooles Etagenbett und ich durfte wie früher zu Hause üblich oben schlafen. Was war ich glücklich. Kurz nachdem die ersten warmen Sonnenstrahlen ins Zimmer schienen, wachte ich auf. Für’s Frühstück war’s noch definitiv zu früh, aufstehen wollte ich noch nicht, aber einschlafen war auch nicht mehr drin.
Elisabeth – alle nannten sie jedoch nur Elly – hatte mich total überrascht mit ihrem Outfit: ihr kurzer, knallroter Igelhaarschnitt, der im Nacken zu einem kleinen Pferdeschwänzchen wurde, sah total irre aus. Und dazu noch diese Latzhose – irgendwie zwar drei Nummern zu groß und total baggy – aber dafür sowas von zerschlissen, dass meine Mama sie glatt hätte in der Mülltonne verschwinden lassen – OHNE mir vorher was zu sagen. Da war ich mir sicher. Hatte Oma uns nicht gewarnt: Die tragen nur gute Klamotten, da kannst Du Dich in Latzhose nicht sehen lassen – von wegen, Oma, das gibt Ärger wenn wir wieder zu Hause sind.
Plötzlich roch es nach frischen Brötchen – Papa war schon los und hatte beim Bäcker im die Ecke welche gekauft. Rasch stand ich auf und zog mich an – wenn ich ihm beim Frühstück helfe, wird sicher niemand meckern, wenn ich nochmal meine schwarze Latzhose und darunter das weiße T-Shirt von gestern anziehen würde. So erschien ich dann auch in der Küche, nachdem ich mich zuvor frisch gemacht und angezogen hatte. Meine Schwester und Mama lagen noch müde im Bett.
„Moin“ sagte Papa. Typisch Papa, dachte ich. Jetzt im Urlaub auf Friesisch machen. Aber offenbar hatte er gute Laune. „Solltest Du die Latzhose nicht nur auf der Hin- und Rückfahrt anziehen?“ sagte er und schaute mich fragend an. „Nicht dass es gleich Ärger mit Mama gibt?“ „Wir wollen doch gleich zur Wattwanderung – und Elly zieht bestimmt auch ihre Latzi an –dann gehen wir beide im Partnerlook. Papa, bitte! Darf ich?“ „Naja, von mir aus. Ich find die total klasse – auch wenn Mama die nicht mag. Von mir aus hättest Du auch die Blaue noch mitnehmen dürfen, aber da hat Mama mehr zu sagen!“
„Ja, leider!“ sagte ich und war insgeheim froh, dass ich wenigstens die Schwarze mitnehmen und anziehen durfte. Kurze Zeit später kamen auch Mama und meine Schwester in die Küche. Mama schüttelte nur mit dem Kopf, als sie mich sah. Ihre Blicke sagten alles. Wir frühstückten in aller Ruhe und kurz vor 10 Uhr klingelte es an der Tür unserer kleinen Ferienwohnung. Es war Elly. Sie hatte ihre Latzhose bis zu den Knien hochgekrempelt, die Träger in den runter baumelnden Latz eingehakt und dazu einen blauen Kapuzenpulli an, der auch schon seine besten Tage hinter sich hatte. Die Hände locker in der Känguru-Tasche versteckt schaute sie mich mit ihren Sommersprossen an und sagte verlegen „Kommt Ihr mit zur Wattwanderung? In 10 Minuten geht’s los!“
„Klar, gerne!“ sagte ich. „Aber ich habe keine Gummistiefel mit!“ „Brauchst Du auch nicht! Musst halt auch Deine Hose hochkrempeln, dann tun’s auch Badelatschen. Und zieh Dir ‘nen Pulli drüber, ist sehr frisch heute – T-Shirt allein reicht nicht!“
Kurze Zeit später liefen wir los – die ganze Familie kam mit, auch Ellys Eltern. Elly und ich rannten erst mal vor zum Strand – wir wollten unter uns Sein und Zeit zum Erzählen haben. „Dein Outfit gefällt mir!“ sagte ich zu Elly und schaute sie dabei etwas neidisch an. „Oma hat Dich mir ganz anders beschreiben – so als typisch Spie…“ „Spießer meinst Du – ja so war ich früher mal. So kennt mich Deine Oma eigentlich auch nur – das liebe brave Mädchen aus gutem Hause, welches auch Alltags in Sonntagskleidchen rum rennt. Nee, die Zeiten sind vorbei. Und als ich hörte, dass Du gerne Latzhosen trägst, hab‘ ich mir kurzerhand eine organisiert: Meine bestes Freundin lebt auf ‘nem Bauernhof und dort tragen alle Latzhosen. Und von ihrer Mama habe ich die hier abgreifen können – ist mir zwar noch zu groß, aber mit Gürtel drum passt sie ganz gut.
Und besonders wichtig: Der Latz muss runter baumeln, soll ja jeder sehen, dass ich Latzhosen trage, auch wenn ich ‘nen Kappu drüber ziehe. Dann ging’s noch zum Frisör: rote Haare hatte ich immer schon, die sind auch „echt“, aber die Wuschelmähne, die Mama mir sonntags zu zwei Zöpfen zusammengeflochten hatte, musste einfach mal runter. Igel mit Minischwänzchen, die Frisöse hat zwar blöd geguckt, meinte aber zur Latzhose könne das sogar ganz witzig aussehen.
Als ich das erste Mal so nach Hause gekommen bin, ist Papa total ausgerastet – das tat echt weh, aber dann bekam er Zoff mit meiner Mama und tauchte das ganze Wochenende nicht mehr auf. Inzwischen hat sich alles wieder eingerenkt – war aber alles in allem ‘ne schmerzhafte, aber wichtige Erfahrung. Und wie bist Du zu Latzhosen gekommen, Sandra?“
„Wow!“ dachte ich, da hatte ich es doch um einiges besser. „Ach, das ist eine lange Geschichte. Muss so etwas mehr als ein Jahr her sein, jetzt. Wir waren mit Freunden im Freizeitpark und ich bin tierisch nass geworden, so dass ich meine Hose wechseln musste. Die Mama eines Kollegen hatte zum Glück Ersatzkleidung dabei, und was da zum Vorschein kam, war ‘ne alte Latzjeans, die ich nach viel Bitten und Betteln behalten durfte.“
„Interessant“ sagt Elly. „Ist das die, die Du an hast?“ „Nein“ sagte ich traurig, als ich an Marks Latzjeans und den roten Kapuzennicki denken musste. „Die war irgendwann zu klein und später dann auch noch durchgerutscht. Die hab‘ ich dann in der Altkleidersammlung persönlich in den Reißwolf geworfen!“ „Cool – sowas würde ich auch gerne mal sehen. Hast Du nur die eine Latzhose?“ „Nee, inzwischen hab‘ ich noch eine Latzjeans von meiner Englisch-Lehrerin bekommen, die ist total cool – mit dem großen, durchgehenden Reißverschluss vorne. Die durfte ich aber leider nicht mitnehmen. Die passt aber auch kaum noch…“
„Schade – die hätte ich gerne mal gesehen! Hast Du Bilder davon mit?“ „Nee, leider nicht. Konnte doch nicht ahnen, dass Du auch Latzhosen anziehst. Musste quengeln, dass ich überhaupt eine mitnehmen durfte. Lieber hatte ich ja meine Blaue mitgenommen, die sieht auch schon reichlich verwaschen aus – oder meine Lieblingshose: meine braune Kunstleder-Latzjeans!“
„Das ist ja megacool – sowas gibt es? Wahnsinn! Sowas hätte ich auch gerne – völlig abgefahren. Die musst Du mir unbedingt mal zeigen…“ sagte Elly, als wir gemeinsam durch das Watt wanderten. „Die hab‘ ich vom Flohmarkt – war gebraucht, ist aber noch gut in Schuss. Die ziehe ich zum Herbst hin wieder an, da freu ich mich jetzt schon drauf!“ „Dann hast Du ja ‘nen ganzen Schrank voll Latzhosen – Du trägst wohl nichts anderes, oder?“ „Naja“, sagte ich. „Im Sommer ziehe ich auch ganz gerne mal meine kurze Lederhose an, die ich von meiner besten Freundin mitgenommen habe!“
„Ja, nee – iss klar!“ „Du bist ja noch verrückter als ich, Sandra! Ich hab‘ nur die eine hier – aber die ist auch cool – die zieh ich total oft und gerne an.“ Wir liefen weiter durchs Watt – der raue Wind blies uns ins Gesicht und ich war froh, dass ich auf Elly gehört hatte und auch meinen Kapuzenpulli drüber gezogen hatte. Nur mein Latz saß da, wo er hingehörte: Vor meiner Brust – dafür ist er auch schließlich da, dachte ich.
„Guck mal hier! Weißt Du, was das ist?“ fragte Elly und zeigte in den Schlick auf etwas, was ganz merkwürdig aussah…